👋 Schön, dass Du hier bist! Bitte beachte, dass dieser Artikel bereits einige Jahre auf seinem Buckel hat. Seitdem haben sich nicht nur die Welt, sondern auch meine Wissenslücken, Erfahrungen und Ansichten geändert. Dennoch stehe ich hinter den Aussagen, die ich damals getätigt habe. Selbst dann, wenn ich sie mittlerweile anders tätigen würde. Bitte behalte dies beim Lesen im Hinterkopf. Danke. Und viel Vergnügen!
Das projektmagazin, welches ich übrigens sehr schätze, fragt sich, ob wir noch Grenzen im Projektmanagement brauchen. Und die Frage bringt mich ein wenig zum Nachdenken. Aber nur kurz. Denn die Antwort ist für mich ziemlich eindeutig. Aber vorher lasst mich auf ein paar der Argumente eingehen.
Vom Wald und von Bäumen #
„Transparenz wird belohnt mit Wettbewerbsfähigkeit und Speed.“
Ich sehe das diametral anders. Transparenz wird belohnt mit Schmerzen. Das trifft auf die meisten Organisationen zu, die ich kenne und das lässt sich sogar in eine Formel packen: x = 2y, wo x für den Grad der Transparenz und y für die Intensität der Schmerzen steht. Ihr findet diese Aussage zu heftig? Dann schreibt mal Euren Namen und Euer Gehalt auf einen Zettel und hängt ihn in der Stockwerksküche an den Kühlschrank. Übertrieben? Kann sein. Aber warum sonst begraben wir manchmal unseren aktuellen Projektstatus unter so viel Informationen wie möglich.
Ihr wundert Euch, so eine Aussage gerade von mir zu hören? Der ich Transparenz immer und überall wehementest verteidige? Schon, ja. Aber damit das funktioniert, muss ich vorher für eine Atmosphäre sorgen, in der das auch gelebt werden kann. Wenn ich Menschen zu schnell zu zu viel Transparenz zwinge, werden sie um den Transparenzbaum so viel andere Transparenzbäume stellen, dass man erst recht wieder nichts sieht. Und hier stehen wir vor einem Henne-Ei-Problem. Ich will Euch jetzt ausgelutschte Wundercoach-Zitate ersparen (Culture und Strategy und Breakfast und so; besagtes Zitat stammt übrigens aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht von Peter Drucker, auch wenn das alle behaupten - wegen des unnützen Wissens wäre es gewesen). Damit ich eine transparente Kultur bekomme, müssen die Menschen in meiner Organisation das auch wollen. Gerade auch und besonders in dem Change-Umfeld, in dem wir Projektmenschen uns nun mal bewegen.
Von niedergerissenen Zäunen #
In den letzten etwa zehn Jahren beobachte ich, dass in mehr und mehr Unternehmen starre, "klassische" Projektmanagementstandards (oftmals PMI, PRINCE2, und - vor allem im deutschsprachigen Raum - IPMA, beziehungsweise betriebseigene Standards, die gern auf ISO21500 oder DIN69901 basieren) abgelöst werden. Das ist gut. Warum ist das gut? Ist das gut? Immerhin gibt so ein Standard auch Sicherheit. Und Vergleichbarkeit. Und ja, das ist sicher nichts Schlechtes. Vor allem, wenn ich - denkt nur an die Automotive-Industrie - lange Projektlaufzeiten mit noch längeren Wertschöpfungsketten, hohen Qualitätsansprüchen, und höchstem Kostendruck unter einen Hut bringen muss. Da komme ich um APQP, PPAP und Konsorten initial kaum herum.
Aber so ein Standard kann auch lähmen. Vor allem in Zeiten wie diesen, wo uns Change und Disruption nur so um die Ohren fliegen. Als Begriffe, wie als Phänomene.
Nur, das war in meinen Augen nichts desto trotz immer schon so. Ich denke hier vor allem an die von mir so geliebte Komplexitätsmatrix. Erfolgreich waren immer schon die Projekte, deren Eltern nicht starr den Wasserfall hinuntergepaddelt sind (pardon the pun!), sondern die situationselastisch, flexibel, rolling-wave-planend angegangen wurden. Prädiktiv, was ich beherrsche. Inkrementell, iterativ, adaptiv, was ich zu Beginn nur schwer (ab)schätzen kann. Das klingt nach Freiheit. Aber das kann auch nur funktionieren, wenn ich meine Standards, Methoden, Methodologien, und Frameworks nicht nur kenne, sondern auch anwenden kann. Hier muss ich wieder mal meine Handwerkeranalogie auspacken. Als Zimmermann muss ich die Werkzeuge, die ich in meinem Handwerkskoffer so mit mir herumtrage, beherrschen. Aber auch der Zimmermann, der alles mit dem Schraubenzieher versucht, zu erledigen, wird eher mühsam vorankommen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte.
Von der Wahrheit zurück zur Freiheit #
Lasst mich noch kurz auf die vorhin eben angesprochene Freiheit zurückkommen. Die finde ich nämlich wichtig! Ja, Scrum wird "immer mehr den eigenen Bedürfnissen angepasst[...]", wie es im projektmagazin heißt. Aber für mich ist das gut so! Schlimm wäre, wenn man es nicht anpassen würde. Ich weiß, das Konzept von Shuhari ist (vor allem im Kampfsportbereich, wo es herkommt) nicht unumstritten. Da steckt sehr viel Zwang drinnen und dahinter. Aber wenn ich es als rein theoretisches Modell betrachte, hilft es mir hier ungemein weiter.
- Shu. Die Regeln kennen und anwenden lernen.
- Ha. Die Regeln brechen. Schön langsam merken, dass das nicht alles sein kann.
- Ri. Die Regeln sein.
Und wenn wir Scrum ernsthaft betreiben, dann sind wir aus den 16 Seiten, die der Scrum Guide so an Inhalt für uns bereithält, nach spätestens einiger Zeit herausgewachsen. (Ihr kennt meine Argumente.)
Und hier kommt das von mir so gehasste große "aber". Aber. Damit das funktioniert, brauche ich auch hier eine Basis. Auch, wenn ich meinen Projektmanagementstandard noch so sehr verbiege und anpasse. irgendwo gibt es eine Grundidee. Irgendwo gibt es Richtlinien, auf die sich (hoffentlich) alle geeinigt haben.
Braucht Projektmanagement nun also Grenzen? #
Schlechtes Projektmanagement braucht Grenzen. Gut gemachtes Projektmanagement braucht keine Grenzen. Gut gemachtes Projektmanagement braucht Leitplanken. Grundregeln. Aber keine Grenzen. Denn wohin wollen wir denn mit unseren Projekten? Was sind unsere Produktvisionen? Wollen wir in der kleinen Nussschale auf dem Dorfteich herumrudern und Fische fangen? Das überlassen wir doch lieber liebend gerne unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Prozessmanagement. Wir wollen in den Ozean hinaussegeln und neue Länder entdecken. Denn genau deswegen sind wir doch alle im Projektmanagement gelandet. Oder?
#scrum #projektmanagement
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